Seit dem Ende des ersten Weltkrieges war das heutige Gelände der Überseeinsel ein industriell geprägtes Hafengebiet. Doch wenn wir weiter zurückblicken, finden wir Spuren eines Stadtviertels, das in vielen Zügen dem heutigen Rahmenplan der Überseeinsel ähnelt: Die Muggenburg, benannt nach der Gewässer-liebenden Mücke, war bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts geprägt von einer Mischung aus Arbeit, Wohnen und Freizeit. Hier kommt ein Blick in die

Geschichte


Das Leben auf der Pipe

Rund um 1800 tauchte die Muggenburg erstmalig auf Bremer Stadtplänen auf. Sie war eine dörfliche Siedlung mit einer großen Tradition in Kalkbrennerei – ein Handwerk, vor dem sich die Anwohner fürchteten, ging doch von den großen offenen Öfen eine hohe Brandgefahr aus.

Der Kalk für den Bau von Bremer Gebäuden stammte also aus der westlichen Vorstadt. Doch so richtig gehörte dieser Teil Bremens nicht zur Stadt: Die Menschen auf der Muggenburg hatten keine Bremer Bürgerrechte. Jeden Abend bei Einbruch der Dunkelheit wurden die Stadttore geschlossen,  wer dennoch hineinwollte, musste bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts ein Torgeld bezahlen.

Glücklicherweise hatten die Menschen auf der Pipe, wie sie ihren Stadtteil liebevoll nannten, alles, was sie brauchten: Hier lebten Bauern, Arbeiter, Handwerker, Fuhrleute, Zigarrenmacher, Höker, Wirte, Schlachter, Zuckerbäcker, Matrosen, Kahnschiffer und Kapitäne. Es gab die Schelllackfabrik Ströver, eine Seifenfabrik, Packhäuser und Fuhrunternehmen, Kohlenhändler und Milchviehhaltung. Und es gab neben diesem vielfältigen Gemisch aus Berufen und Menschen auch beliebte Freizeitmöglichkeiten – allen voran die mehr als 20 Gaststätten und der Badestrand an der Spitze der Muggenburg. Man kannte sich untereinander und es entwickelte sich ein einzigartiges soziales Miteinander.


Von Wasser und Gleisen

Im Februar 1860 wurde der Weserbahnhof eröffnet, im Jahr 1888 der Freihafen I (heute:Europahafen). Erst seit dem Bau dieses Hafens ist das Gelände der Überseeinsel eine Halbinsel. Lange Zeit galt der Freihafen als einer der modernsten Häfen der Welt, nicht zuletzt, weil die Gleisanbindung direkt bis an das Wasser reichte.


Derweil in Battle Creek, Michigan, USA

Zum Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich im Bremer Westen die Hafenwirtschaft. Währenddessen trocknete im Jahr 1894 in der Küche eines amerikanischen Sanatoriums ein Topf mit Weizenbrei ein. Auch dieses alltägliche Vorkommnis hat etwas mit der Historie der Überseeinsel zu tun:

1894

Will Keith Kellogg (1860-1951), kaufmännischer Leiter des Sanatoriums, walzte den ungenießbaren Brei. Er erhielt kleine Flocken, die gebacken und mit etwas Milch vermengt ein erstaunlich leckeres Frühstück ergaben – so zumindest die damalige einhellige Meinung der Sanatoriums-Gäste.

Er und sein Bruder, der ärztliche Leiter des Sanatoriums Dr. John Harvey Kellogg (1852 – 1943), witterten ein Geschäft. Gemeinsam gründeten sie die Nut Food Company, mit der sie die Frühstücksflocken zunächst auf dem nordamerikanischen Kontinent vertreiben.

1898

Ab 1898 wurden die Flocken aus Mais hergestellt: Die bekannten Corn Flakes. Die Kellogg Company entsteht.

 Ab 1914

Das Unternehmen expandierte über den kanadischen Markt. In den 1920er Jahren wurden die Produkte auch in Australien und Europa vertrieben. Der Export nach Deutschland wurde zunächst von Manchester aus geregelt.

Der 2. Weltkrieg und die Jahre danach

Zurück in Bremen: Direkt nach Kriegsbeginn wurde mit dem Bau des Muggenburg-Bunkers begonnen, für dessen Errichtung russische und französische Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. Er ist eines der wenigen Gebäude, das den Krieg überstanden hat – nahezu die gesamte Muggenburg einschließlich des Weserbahnhofs wurden zerstört. Der Weserbahnhof wurde nach dem Krieg wieder aufgebaut und sogar wesentlich erweitert. Die Pipe hingegen, das quirlige Stadtviertel voller Räume für Leben, Arbeit und Freizeit, bleibt verschwunden.


Vom Wohnviertel zum Industriegebiet

Ab 1963

Der Wiederaufbau des Hafengebietes orientierte sich an der Industrie. Auf der Muggenburg 30 errichtete Kelloggs das Produktionswerk mit eigener Hafenanlage und eigenem Verladebahnhof. Die ersten Frühstücksflocken liefen am 8. Juni 1964 in den Gebäuden 17 und 18 vom Band. Das Unternehmen startete mit einer Anfangsbelegschaft von 20 Mitarbeitenden. In den folgenden Jahren fanden sich jedoch regelmäßige Stellenanzeigen im Weser Kurier. Kelloggs weitete die Produktion rasant aus und stellte zahlreiche Menschen ein.

Die 1970er und 1980er

Das Unternehmen wuchs – und damit nicht nur die Produktpalette, sondern auch die Weiterentwicklung des Produktionsgeländes. So wurde am 1. August 1977 zum Beispiel das Gebäude 25 eröffnet – jenes Gebäude, das die zukünftige Überseeinsel mit einem besonderen Wohnraumkonzept bereichern wird.


Der Rest ist Geschichte. Und Zukunft.

Auch in den 2000er und 2010er Jahren spielte Kellogg eine wichtige Rolle für Bremen. Die Produktpalette wurde weiter ausgebaut und neue Produktionsanlagen in Betrieb genommen. 2014 feierte das Unternehmen das 50-jährige Jubiläum des Bremer Standortes. Ende 2016 lief die letzte Kelloggs-Packung vom Band.
Die Überseeinsel übernahm. Was bleibt ist ein Ort, der von all jenen geprägt wurde, die hier täglich, zu allen Tages- und Nachtzeiten und oft über viele Jahre hinweg ihre Arbeit erledigten. Die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit bei Kelloggs betrug 21 Jahre. So lange bleibt nur an einem Arbeitsplatz, wer dort mehr findet, als einen Job. Loyalität zum Beispiel, Zusammenhalt, Verwirklichung, Spaß, Freunde – oder einfach den täglichen Blick auf die Weser. Dieser Spirit, da sind wir uns sicher, bleibt auf der Überseeinsel auch in Zukunft erhalten.